Signal zur Umkehr

aus einer Mail von Hilde Blasius an ihre Tochter Iris Didwiszus, Lehrerin an unserer Schule und durch einige Aufenthalte an unserer Partnerschule in Tokio eng verbunden mit den Menschen dort.
16. März 2011

Liebe Iris,
was für ein Kulturschock die Japaner und wir alle in der Welt jetzt erleben! Die gesamte Zivilisation, globales Wachstum, immerwährender Fortschritt wird infrage gestellt. Nachdem über Japan die Atombombe abgeworfen wurde und die Japaner sozusagen als Entschuldung der wissenschaftlichen Forschung und Nutzung zu Kriegszwecken mit den Atomkraftwerken den "Heilsweg" zu beschreiten suchten, indem sie Kernenergie friedlich nutzten, wird nun ALLES entzaubert - der ganze Fortschrittsgedanke des immerwährenden Wachstums und das immer fortschreitende Delegieren der Menschen an die Technik, die für Menschen immer undurchschaubarer wird. Ahriman hat sich voll inkarniert. Nach Tschernobyl hat man noch alles den Russen zugewiesen und deren Schludrigkeit - und alles war schnell vergessen. Aber jetzt hat man es mit einem Volk der Lebenskunst und Spiritualität zu tun. Japan, das auf sehr engem Raum sehr zivilisiert mit großer Bevölkerung leben kann ...

Ob das endlich als Warnsignal zur letzten Zeit begriffen wird? Denn wer weiß, welche Irrtümer die Menschheit gerade jetzt wieder begeht? Umkehr wäre: das Johannes-Evangelium lesen und begreifen: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und ein Gott war das Wort ..., aus dem alles geworden ist ..." Aber die Menschen haben es nicht begriffen, dass es um etwas Lebendiges geht!!! Wer weiß, welche Irrtümer wir gerade jetzt wieder begehen? Es kommen so viele Signale zum Umdenken zur Zeit.

"Das Leben ist kein Glückzustand, das Leben muss vollzogen werden, es ist etwas Lebendiges. Und mit dem Leben ist auch das Leid, der Schmerz verbunden, was selbstverständlich mitgetragen werden muss. Unter liebevoller Zuwendung aller gelingt es der Schönen Lau fünfmal herzlich zu lachen ..." So habe ich es gestern in unserer Präsentation zum Märchen "Die Schöne Lau" über Betha gesagt, die der Schönen Lau aus ihrer Misere hilft. Ich hatte furchtbar Lampenfieber, aber meine Botschaft hab ich klar und mit ruhiger Stimmung rübergebracht. Mehr konnte ich nicht tun. Immerhin haben wir vorher in der Runde eine Schweigeminute für Japan eingelegt!

Soviel zu diesen Tagen und gute Wünsche, Hilde

P.S. Ich schließe mich damit den Gedanken an, die in diesen Tagen im Rundfunk geäußert wurden, u.a. von den Schriftstellern Adolf Muschg, der mit einer Japanerin verheiratet ist und dessen Sohn in Japan lebt, und Burkhard Spinnen.

 

Aus Mails mit Freunden in Tokio wissen wir, dass die Menschen dort, die Kollegen, Schüler und Eltern wohlauf sind. Die Leiterin der Kenji-no Gakko Freie Waldorfschule und ihr Mann schreiben am 17. März:

Liebe Berliner,
wir haben uns über die Mail sehr gefreut.
Die Schule steht noch, es hat zwar stark gewackelt (und dannach ständig immer wieder schwächer), aber hier, in Tokyo, sind soweit uns bekannt ist, keine Häuser direkt zusammengefallen, die Brände sind indirekte Wirkungen. Auch sind wir weit vom Meer entfernt, sodass die Tsunamis hier keine Gefahr darstellen. Manche Schüler konnten aber an diesem Tag nicht nach Hause fahren, da die Züge nicht fuhren und mussten bei anderen Familien untergebracht werden.

Wir mussten die Schüler eine Woche früher in die Frühlingsferien schicken, da die Gefahr von Nachbeben und somit die Gefahr, nicht nach Hause zu können, zu groß war. Danach kamen die Probleme mit den Atomkraftwerken. Heute ging man möglichst nicht aus dem Haus wegen ungünstiger Windrichtung von den Atomkraftwerken. Mittags hat ein Amateur hier etwas erhöhte Zerfallswerte gemessen (4fache natürliche Rate). Jetzt weht der Wind wieder günstig und die Werte sind komplett zurückgegangen. Gerade bebt es wieder sehr stark ... es gibt ungelogen bis jetzt jeden Tag hier Erdbeben. Soweit ... es geht uns gut.

Trotzdem ist hier eine verheerende Situation. Viele Leute haben von ihren Verwandten im Norden kein Lebenszeichen und keine Hoffnung, dass diese noch leben. Außerdem haben viele tausend Leute alles verloren und können eventl. nicht einmal in ihr Gebiet zurück wegen verbleibender Strahlung. So geht es z.B. den Menschen, die unseren Schülern den Tanz gelehrt haben, den die Schüler damals in Dornach aufgeführt haben.

Was mit den Atomkraftwerken ist, ist nicht ganz klar, aber was in Europa daraus gemacht wird, ist auch viel Panikmache. So denkt hier im Moment niemand daran, sein Kind im Ausland in Sicherheit zu bringen, wenn er nicht gerade selbst aus dem Ausland stammt.
Soweit, wir melden uns nochmal.
Johannes Nast, Physiklehrer aus Nürtingen kam gerade in dieser Zeit, das war für uns natürlich sehr gut.
Viele Grüße
Virgilius Vogl und Masayo Toriyama

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